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Neue diagnostische instrumentelle Verfahren und ihre Berechnung als funktionsanalytische Leistungen


Dr. Alexander Raff, Stuttgart

Die Weiterentwicklung der fachlichen Grundlagen der Funktionsdiagnostik betrifft häufig auch neue diagnostische instrumentelle Verfahren. Ein Beispiel hierfür sind die Indikatorschienen zur visuellen Analyse okklusaler Parafunktionen. Diese wurden entwickelt, um die Intensität und Verteilung von Zahnkontakten im Verlauf der Tragedauer aufzuzeichnen und später objektiv visuell auswertbar zu machen.

Die in der deutschen Gebührenordnung für Zahnärzte aufgeführten Leistungen sind 2012 bei der GOZ-Reform im Bereich der Funktionsdiagnostik im Vergleich zu der Vorgängerversion aus dem Jahr 1988 fast unverändert geblieben. Da Zahnärzte in Deutschland nach dem Zahnheilkundegesetz verpflichtet sind, die Zahnheilkunde nach aktuellem Stand der Wissenschaft auszuüben, wäre das allein mit den in der mithin inhaltlich veralteten Gebührenordnung katalogisierten Leistungen nicht möglich. Der Gesetzgeber hat dafür in der neuen GOZ die Möglichkeit verankert, nicht im Leistungskatalog enthaltene selbstständige Leistungen entsprechend nach Art, Kosten- und Zeitaufwand und Schwierigkeit vergleichbarer Leistungen abzurechnen („Analogleistungen“). Der vorliegende Beitrag schildert am Beispiel der Diagnostikschienen und ihrer Auswertung die gebührenrechtlichen und fachlichen Hintergründe sowie die Konsequenzen für die Umsetzung in der Praxis. 

Dieser Beitrag stammt aus der „Zeitschrift für Kraniomandibuläre Funktion“ des Quintessenz Verlags. Die Zeitschrift berichtet bilingual in Deutsch und Englisch über neue Entwicklungen in Klinik und Forschung. Sie nimmt aktuelle Original- und Übersichtsarbeiten, klinische Fallberichte, interessante Studienergebnisse, Tipps für die Praxis, Tagungsberichte sowie Berichte aus der praktischen Arbeit aus der gesamten Funktionsdiagnostik und -therapie auf. Vierteljährlich informiert sie über Neuigkeiten aus den Fachgesellschaften und bringt aktuelle Kongressinformationen und Buchbesprechungen. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.


Einleitung

Die Reform der deutschen Gebührenordnung 2012 hat nur in wenigen Bereichen der Zahnheilkunde die neuen Entwicklungen der jeweiligen Fachgebiete wirklich berücksichtigt. In praktisch jedem Bereich der Zahnheilkunde finden sich neue Behandlungsmaßnahmen, die von den Gebührenziffern der GOZ 2012 nicht abgedeckt sind. Besonders auffällig ist die Diskrepanz zwischen der fachlichen Weiterentwicklung einerseits und deren Abbildung im Leistungsspiegel der Gebührenordnung im Bereich der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik und Funktionstherapie; hier wurde der Fortschritt des Wissens und der resultierenden klinischen sowie apparativen Techniken fast komplett ignoriert. So sind sämtliche okklusale Schienen, die nicht als ein Therapeutikum im Sinne der Aufbissbehelfe nach den GOZ-Nrn. 7000/7010 zur Entkopplung oder Neueinstellung der Kontaktbeziehung von Unterkiefer zu Oberkiefer dienen, in der GOZ 2012 nicht enthalten. 

In der GOZ 2012 fehlen beispielsweise alle Schienen zur Vermeidung des Schnarchens (Rhonchopathie), zur Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe und die bimaxillären Positionierungsschienen zur Fixation des Unterkiefers in einer physiologischen Position sowie die diagnostischen Indikatorschienen zur visuellen Analyse okklusaler Parafunktionen.


Abb. 5 und 6 Befunde aus elektromyographischen Untersuchungen von Kaumuskeln (Elevatoren), einmal ohne (links) und einmal mit (rechts) Indikatorfolie BruxChecker. Der Vergleich zeigt, dass das nächtliche Tagen der 0,1 mm starken Tiefziehfolie die Muskelaktivität nicht messbar beeinflusst.

Indikatorschienen zur visuellen Analyse okklusaler Parafunktionen 

Indikatorschienen wurden entwickelt, um die Intensität und Verteilung von Zahnkontakten im Verlauf der Tragedauer aufzuzeichnen und später objektiv visuell auswertbar zu machen. Damit sind zum Beispiel parafunktionelle Aktivitäten über einen definierten Zeitverlauf (beispielsweise eine Nacht) auszuwerten. Bisher eingeführt ist zum Beispiel das Produkt „BruxChecker“ (Scheu Dental, Iserlohn). Hierbei handelt es sich um eine von Prof. Sadao Sato vom Kanagawa Dental College, Tokyo/Japan entwickelte, extrem dünne Kunststofffolie, die mit einer rot eingefärbten Farbschicht bedeckt ist, welche unter normalen Mundbedingungen nicht in Lösung geht, sich aber unter forciertem Okklusionskontakt abreibt (Abb. 1 bis 4). Das Prinzip der Auswertung beruht auf der Analyse der entfärbten Abriebareale auf der Okklusionsfläche im Sinne einer strukturierten ja/nein-Auswertung. Nach elektromyographischen Auswertungen der Arbeitsgruppe um die Entwickler verursacht das Tragen der Indikatorschiene keine Veränderungen im EMG der Kaumuskulatur (Abb. 5 und 6).

Einen alternativen, deutlich dickeren Folientyp („Bruxcore“) hat die Universität Düsseldorf entwickelt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um Indikatorschienen, allerdings aus einem mehrlagigen Aufbau unterschiedlich eingefärbter Folien. Beim Tragen des Bruxcore soll eine Differenzierung der lokalen Tiefe des Abriebs des Schienenmaterials möglich werden, wobei die Tiefe des Abriebs an den jeweiligen Stellen anhand der freigelegten Farbschicht erkennbar wird. Dies wird dann computergestützt gemessen und anschließend inhaltlich ausgewertet1.

Zudem gibt es neuerdings einen spezifischen Lack (zum Beispiel Arti-Brux, Bausch) auf dem Markt, der auf eine Trägerschiene aufgetragen und ebenfalls unter forciertem Okklusionskontakt abgerieben wird. Indikatorschienen zur Visualisierung parafunktioneller Aktivitäten werden auf zuvor herzustellenden Zahnmodellen zahntechnisch gefertigt (in der Regel im Tiefziehverfahren) und anschließend durch den Zahnarzt eingegliedert, einhergehend mit einer Erläuterung der Indikation und Wirkungsweise und einer Instruktion zum Gebrauch. 

In einem oder mehreren gesonderten Untersuchungsterminen erfolgt anschließend die Kontrolle und Auswertung der Indikatorschiene.


Abb. 7 Vorschlag einer Klassifikation der Bruxismusmuster mittels BruxChecker von Sato und Onodera, umgezeichnet von Greven. Die Einteilung ordnet die Befunde aus der Anwendung des BruxCheckers aus Sicht der Autoren systematisch nach diagnostischen Kriterien.

Indikationen

Bei der Auswertung kommen je nach Indikation zwei verschiedene Auswertungskonzepte zur Anwendung:

Auswertung der Kontaktmuster bei der Behandlung mit Indikatorschienen 

In der ursprünglichen Konzeption der Indikatorschiene aus dem Material BruxChecker erfolgte eine Zuordnung der in der Indikatorfolie abgebildeten Verteilungsmuster der Okklusionskontakte nach verschiedenen Kontaktmustern, die wiederum Rückschlüsse auf die Dysfunktionsmuster erlauben, welche während der Tragezeit auf die Schiene einwirken (Abb. 7 bis 11): 

  • CG: Eckzahnführung/Eckzahndominanztyp
  • CG + MG: Eckzahnführung und Mediotrusionskontakttyp
  • ICPG: Front-/Eckzahn-/Prämolaren-Kontakttyp
  • ICPG+MG: Front-/Eckzahn-/Prämolaren- und Mediotrusions-Kontakttyp
  • GG: Gruppenführungstyp
  • GG+MG: Gruppenführungs- und Mediotrusions-Kontakttyp

Aus diesem international publizierten Auswertungsschema2 ergibt sich, dass die Hauptindikation der Bissanalyseschiene in der Differenzierung der Dysfunktionsmuster besteht. Die Leistung schließt insofern die Zuordnung zu dem jeweiligen Kontaktmuster ein, einschließlich der entsprechenden Dokumentation.

Dies ermöglicht in der Folge auch die Feststellung, ob die betreffenden Patienten aktuell weiterhin bruxieren (oder ob vorhandene Schliffspuren aus der Vergangenheit stammen). Bestenfalls sind aufgrund der Zuordnung zu den Dysfunktionsmustern zudem therapeutische Rückschlüsse möglich. Da speziell Mediotrusionskontakte häufig mit erhöhter muskulärer Aktivität und hohen Belastungen für die Zähne mit den Mediotrusionsfacetten einhergehen, sind diese dann therapeutisch zu beseitigen – in der Regel zunächst reversibel mit einer funktionstherapeutisch konzipierten Schiene. Die Kontaktbilder können von denen im Artikulator abweichen, weil die Kontakte mit der Indikatorschiene unter der Belastungssituation im Mund entstehen. Bei Kontakten vom Typ GG und ipsilateralen Muskelbefunden in den Mundschließern bietet sich die testweise Umstellung auf eine eckzahngeführte bzw. eckzahngeschützte Okklusion als Therapiekonzept an3.

Auswertung und Kontrolle von Okklusions­kontakten vor und/oder nach restaurativen Behandlungen

Darüber hinaus hat sich mittlerweile eine zweite Indikation für den Gebrauch derartiger Indikatorschienen etabliert. Diese besteht in der Auswertung des Okklusionsprofils und speziell der Entstehung von Okklusionskontakten außerhalb der Kontrollmöglichkeiten in der zahnärztlichen Praxis auf eingegliederten Langzeitprovisorien und definitiven Restaurationen nach deren Eingliederung. Hierdurch wird eine objektivierbare Kontrolle von unklaren Belastungsverhältnissen in Bezug auf einzelne Zähne bei unklaren Schmerzen ermöglicht. 

In diesem Fall zielt die Auswertung allein darauf ab herauszufinden, ob außerhalb der Kontrollmöglichkeiten in der Zahnarztpraxis übermäßige Belastungen auf einzelne Zähne einwirken und insofern einer Korrektur und Feinjustage bedürfen (beispielsweise bei neuen Langzeitprovisorien und neuen Restaurationen) oder für bestehende Beschwerden verantwortlich sind. In diesem Fall besteht die Auswertung in der Feststellung, ob Zeichen erhöhter okklusaler Belastungen erkennbar sind. Dies dient als objektive Grundlage der entsprechenden therapeutischen Entscheidung.

Berechnung

Bei der Indikatorschiene zur Visualisierung von Parafunktionen handelt es sich um eine selbstständige zahnärztliche Leistung, die in der GOZ nicht aufgeführt und gemäß Paragraf 6 Absatz 1 mit einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung der GOZ analog zu berechnen ist.

Derartige Indikatorschienen sind keine Aufbissbehelfe mit oder ohne adjustierte Oberfläche nach den GOZ-Nummern 7010 und 7000. Die Indikatorschienen sind ein spezifisches Diagnostikum zur Visualisierung von Dysfunktionsmustern und nicht etwa ein Therapeutikum wie die Aufbissbehelfe zur Entkopplung oder Neueinstellung der Kontaktbeziehung von Unterkiefer zu Oberkiefer nach den GOZ-Nummern 7000/7010.

Es ist schwierig, geeignete Analognummern für die Indikatorschiene zu empfehlen. Der tatsächlich gegebene Aufwand ist vor allem im Hinblick auf das gewählte Indikatorsystem unterschiedlich hoch. Als Orientierungshilfe kann das Beratungsforum für Gebührenordnungsfragen dienen. Im Rahmen eines Beschlusses dieses Beratungsforums der BZÄK, PKV und Beihilfe, der die analoge Berechnung der Eingliederung einer Protrusionsschiene bestätigt, weisen PKV und Beihilfe darauf hin, dass sie die GOZ-Nr. 7010 (Eingliederung eines Aufbissbehelfs mit adjustierter Oberfläche) für angemessen erachten. Dieser Beschluss des Beratungsforums kann auch für die analoge Berechnung der Indikatorschiene herangezogen werden. Im individuellen Fall kann jedoch nur der Zahnarzt, der den tatsächlich vorliegenden Zeit- und Kostenaufwand und die Art der Indikatorschiene kennt, die tatsächlich geeignete Gebührennummer für die Analogberechnung auswählen.

Neben den zahnärztlichen Leistungen für die Planung, Abformungen, Registrierungen, Ein- und Anpassungen sowie der laufenden Kontrollen der Schienen, wird der zahntechnische Herstellungsaufwand der Indikatorschienen gemäß Paragraf 9 GOZ (Auslagen für Material- und Laborkosten) berechnet. Die Laborrechnung(en) ist (sind) der Liquidation beizufügen.

Derzeit sind Indikatorschienen zur Visualisierung von Parafunktionen im Heilmittelverzeichnis für gesetzliche Krankenkassen des Gesundheitsministeriums nicht gelistet. Das heißt: Es besteht von dieser Seite her kein Anspruch auf Kostenerstattung für gesetzlich krankenversicherte Patienten. Solche Indikatorschienen gehören entsprechend der Richtlinie B. VI. 2. „Aufbissbehelfe“ nicht in diese Kategorie und auch ansonsten nicht zur vertragszahnärztlichen Behandlung. 

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht. Zudem liegt kein Sponsoring durch Dritte in Form von Drittmitteln, Geräten und Ausstattung sowie Medikationen vor.

Ein Beitrag von Dr. med. dent. Dr. med. dent. Alexander Raff, Stuttgart

Literatur


1. Ommerborn MA, Giraki M, Schneider C, et al. Diagnosis and quantification of sleep bruxism: new analysis method for the Bruxcore Bruxism Monitoring Device is suitable for clinical use. J CranioMand Func 2015;7:135–150.


2. Greven M, Onodera K, Sato S. The use of the BruxChecker in the evaluation and treatment of bruxism. J CranioMand Func 2015;7:
249–259.


3. Bernhardt O, Meyer G. Front-Eckzahnführung – bewährtes Okklusions­konzept oder nur eine Form okklusaler Führungsmuster? Quintessenz 2016;67:1173–1180.


Quelle: Zeitschrift für Kraniomandibuläre Funktion, Ausgabe 2/17 Praxisführung Praxis Dokumentation

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