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Prof. Dr. Till Dammaschke, Münster, mit einem Fallbericht zu Biodentine mit siebenjähriger Nachkontrolle

Ein 61-jähriger Patient stellte sich mit Schmerzen und einer Schwellung (Durchmesser ca. ein Zentimeter) in der Umschlagfalte des rechten Oberkiefers regio 16 in der Poliklinik für Zahnerhaltung des Universitätsklinikums Münster vor. Zahn 16 zeigte sich in der Sensibilitätstestung mit CO2-Schnee negativ und in der Perkussionsprobe positiv. Der Patient berichtete, dass an diesem Zahn ungefähr ein Jahr zuvor eine Wurzelkanalbehandlung alio loco durchgeführt worden war.

Frakturiertes Instrument und apikale Aufhellung


Abb. 1: Ein 61-jähriger Patient stellte sich mit Schmerzen und einer Schwellung in regio 16 vor. Das daraufhin angefertigte Röntgenbild zeigte an Zahn 16 eine apikale Aufhellung und ein frakturiertes Wurzelkanalinstrument, das über den Apex der mesiobukkalen Wurzel herausragte. (Foto: Dammaschke)

Das angefertigte Röntgenbild (Abb. 1) zeigte eine apikale Aufhellung und ein frakturiertes Wurzelkanalinstrument, das vermutlich über den Apex des mesiobukkalen Wurzelkanal herausragte. Die Füllung aller vier Wurzelkanäle erschien röntgendicht, wandständig und ohne Zeichen von Porositäten oder Lufteinschlüssen. Nach ausführlicher Beratung des Patienten und Aufklärung über den Behandlungsablauf wurde eine terminale Infiltrationsanästhesie (Septanest, 1 ml; Septodont, Niederkassel) an Zahn 16 durchgeführt. Zur akuten Behandlung der bestehenden Schmerzen wurde der Bereich inzidiert, um für einen Abfluss von Pus zu sorgen. Die Wunde wurde gespült und ein Iodoformstreifen eingelegt.

WSR nach erfolgreicher Schmerzbehandlung

Ein und vier Tage nach der Erstversorgung stellte sich der Patient zur Wundspülung und Austausch des Iodoformstreifens wieder vor. An beiden Tagen berichtete der Patient, beschwerdefrei zu sein. Ein Austritt von Pus konnte nicht mehr beobachtet werden. Weitere drei Tage später wurde - nach eingehender Beratung und Aufklärung des Patienten - eine Wurzelspitzenresektion geplant. Nach terminaler Anästhesie wurde ein trapezförmiger mukogingivaler Lappen in regio 16 präpariert. Um die mesiobukkale Wurzel freizulegen, wurde der Knochen darüber entsprechend entfernt (Abb. 2) und eine Wurzelspitzenresektion an der mesiobukkalen Wurzel Zahn 16 durchgeführt.

Retrograde Präparation und Füllung der Wurzelkanäle

Das Granulationsgewebe konnte vollständig entfernt werden und wurde für eine histopathologische Untersuchung eingeschickt. Mit einem ultraschallgetriebenen diamantierten abgewinkelten Instrument wurden beide Wurzelkanäle der mesiobukkalen Wurzel von retrograd präpariert (Abb. 3). Das frakturierte Instrument konnte so dargestellt (Abb. 4) und entfernt werden. Beide mesiobukkalen Wurzelkanäle wurden mit einem Ultraschallansatz ca. drei Millimeter tief von retrograd präpariert und gesäubert. Biodentine (Septodont, Niederkassel) wurde als retrogrades Wurzelkanalfüllmaterial gewählt, nach Herstellerangaben angemischt und retrograd appliziert (Abb. 5). Der mukogingivale Lappen wurde adaptiert und vernäht.

Das postoperative Röntgenbild zeigte eine vollständige Entfernung des frakturierten Instruments sowie einen Knochendefekt um die mesiobukkale Wurzelspitze herum (Abb. 6). Eine Woche nach der Operation wurden die Nähte entfernt. Die Wundheilung verlief komplikationslos und der Patient war beschwerdefrei.

Apikales Granulom bestätigt

Die pathohistologische Untersuchung bestätigte die Diagnose eines apikalen Granuloms mit einer Akkumulation von Granulozyten und Schaumzellen. Ein zystenbildendes Epithel sowie maligne Zellen konnten nicht nachgewiesen werden.

Patient über sieben Jahre beschwerdefrei

Drei, sieben, 16 und 39 Monate sowie sieben Jahre nach der Wurzelspitzenresektion wurde der Patient zu Kontrolluntersuchungen einbestellt. Bei allen Untersuchungszeitpunkten war der Patient beschwerdefrei und der Zahn 16 zeigte sich sowohl in der Sensibilitätstestung als auch in der Perkussionsprobe negativ. Die angefertigten Röntgenaufnahmen deuteten auf eine beginnende knöcherne Regeneration im Bereich der mesiobukkalen Wurzelspitze bereits nach drei Monaten (Abb. 7) und eine vollständige Heilung sieben Monate (Abb. 8) nach retrogradem Verschluss mit Biodentine hin. Die dreieinviertel (Abb. 9) sowie sieben Jahre (Abb. 10) nach der Wurzelspitzenresektion angefertigten Zahnfilme zeigte stabile apikale Verhältnisse.

Retrograder Verschluss zwingend erforderlich

Für eine erfolgreiche Wurzelspitzenresektion ist ein retrograder Verschluss von resizierten Wurzelkanälen zwingend erforderlich, da Guttapercha bekanntermaßen alleine aufgrund seiner Materialeigenschaften und Oberflächenbeschaffenheit nicht in der Lage ist, eine knöcherne Regeneration an der Wurzelspitze zu induzieren (Christiansen et al. 2009, Baek und Shin 2014). Außerdem ist es das Ziel eines retrograden Verschlusses, die Wurzelkanäle apikal bakteriendicht zu verschließen und ein Mikroleakage zu verhindern.

Wahl des Verschlussmaterials

In der Vergangenheit wurden dafür verschiedene zahnärztliche Materialien wie Amalgam, verstärkter Zinkoxid-Eugenol-Zement (IRM, Super-EBA), Glasionomerzement und Komposit verwendet (Carr 1994, Bodrumlu 2008, Stropko 2009). Heutzutage werden hierfür aber ganz klar Kalziumsilikatzemente wie Mineral Trioxide Aggregate (MTA) empfohlen, da dieser Zement bessere klinische Ergebnisse zeigt (Baek und Shin 2014, Suresh Chandra und Gopikrishna 2014).

Kalziumsilikatzemente sind in der Lage, den Wurzelkanal bakteriendicht zu verschließen (Bogen et al. 2014) und sind sowohl biokompatibel als auch bioaktiv, das heißt, das Wachstum von Knochenzellen kann durch diesen Zement induziert werden (Baek und Shin 2014, Jung et al. 2014). Nichtsdestotrotz hat MTA auch Nachteile: die Handhabung kann unter Umständen nicht ganz einfach sein, die Abbindezeit ist relativ lang, Druck- und Biegefestigkeit sowie die Vickershärte ist niedriger als die von Dentin und es ist vergleichsweise teuer.

Neuere Kalziumsilikatzemente mit Vorteilen

Demgegenüber scheint Biodentine Vorteile zu bieten: Biodentine ist ebenfalls bioaktiv und biokompatibel, die Abbindezeit ist kürzer, Druck- und Biegefestigkeit sowie Vickershärte liegen im Bereich von Dentin (Dammaschke 2012). Wie im vorliegenden Fall gezeigt werden konnte, kam es nach Anwendung von Biodentine bereits nach ca. einem halben Jahr zu einer vollständigen knöchernen Regenration des Resektionsgebiets. Der positive Effekt auf Knochenzellen und damit die Bioaktivität von Biodentine konnte in vitro eindeutig nachgewiesen werden (Jung et al. 2014).

Abbinden auch in feuchter Umgebung

Die initiale Abbindezeit des Biodentines von ca. 15 Minuten wurde im vorliegenden Fall nicht abgewartet, bevor die Wunde verschlossen wurde, da Biodentine - wie andere Kalziumsilikatzemente – auch in feuchter Umgebung abbinden. Diese Zemente werden daher auch als hydraulische Kalziumsilikatzemente bezeichnet (Berzins 2014). Vermutlich werde allerdings dann nicht die optimalen werkstoffkundlichen Eigenschaften wie Endhärte erreicht, was klinisch betrachtet aber von untergeordneter Bedeutung ist, da der retrograde Verschluss Kaukräften nicht direkt ausgesetzt ist. Hydraulische Kalziumsilikatzemente wie Biodentine sind heutzutage Mittel der Wahl zum retrograden Verschluss von Wurzelkanälen nach Wurzelspitzenresektion.

Prof. Dr. Till Dammaschke, Münster

Danksagung

Mein Dank gilt Herrn OA PD Dr. Sebastian Bürklein für die Unterstützung bei der Durchführung der Wurzelspitzenresektion.

 

Prof. Dr. Till Dammaschke, Universität Münster (Foto: Privat)

Prof. Dr. Till Dammaschke (Jahrgang 1965) ist Oberarzt an der Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er studierte von 1987 bis 1993 Zahnmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen, 1996 folgte die Promotion. Seit 1994 ist er in Münster tätig, zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 1998 als Oberarzt der Poliklinik für Zahnerhaltung. 2007 erfolgte die Ernennung zum Akademischen Rat, 2008 die Habilitation, 2009 die Ernennung zum Akademischen Oberrat. Im Jahr 2012 wurde Dammaschke zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Seit 2015 ist er Leiter des Bereichs „Kariologie und Kinderzahnheilkunde“ der Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung, Münster.
Dammaschke erhielt 2000, 2004, und 2016 den DGZ-Preis und ist „Endodontie“ Preisträger der Jahre 2000, 2010 und 2016, 2004 erhielt der den Jahresbestpreis als Wissenschaftler der DGZMK. Er ist wissenschaftlicher Beirat der Zeitschrift „Endodontie“ und „Magazyn Stomatologiczny“, Section Editor „Head & Face Medicine“, Associate Editor „European Endodontic Journal“. Er ist zertifiziertes Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Endodontie (ESE). Mitglied im Editorial Board der Zeitschrift „Dentistry Journal“.
Dammaschke ist auch als Referent viel gefragt. Zum Thema Endodontie und Vitalerhaltung der Pulpa informiert er auch in „Forum Dentalis“, so am 20. Juli 2018 in Erbach.


 

Literatur
Baek S-H, Shin S-J: Root-End fillings using MTA. In: Torabinejad M (Hrsg.): Mineral Trioxide Aggregate – Properties and Clinical Applications. Wiley Blackwell Publishing, Ames 2014, 250-280.
Berzins DW: Chemical properties of MTA. In Torabinejad M (Hrsg): Mineral Trioxide Aggregate. Properties and clinical applications. Wiley Blackwell Publishing, Ames 2014, 17-36.
Bodrumlu E. Biocompatibility of retrograde root filling materials: A review. Aust Endod J 2008; 34: 30-35.
Bogen G, Lawaty I, Chandler N: MTA root canal obturation. In: Torabinejad M (Hrsg.): Mineral Trioxide Aggregate – Properties and Clinical Applications. Wiley Blackwell Publishing, Ames 2014, 207-249.
Carr GB. Surgical endodontics. In: Cohen S, Burns RC (Hrsg.) Pathways of the pulp. 6th ed. Mosby, St. Louis 1994, pp 531-567.
Christiansen R, Kirkevang LL, Hørsted-Bindslev P, Wenzel A. Randomized clinical trial of root-end resection followed by root-end filling with mineral trioxide aggregate or smoothing of the orthograde gutta-percha root filling - 1-year follow-up. Int Endod J 2009; 42: 105-114.
Dammaschke T. Biodentine – Eigenschaften und Wirkungsweise. Quintessenz 2012; 63: 1273 - 1279.
Jung S, Mielert J, Kleinheinz J, Dammaschke T. Human oral cells´ response to different endodontic resorative materials: an in vitro study. Head Face Med 2014; 10: 55 DOI: 10.1186/s13005-014-0055-4.
Roberts HW, Toth JM, Berzins DW, Charlton DG. Mineral trioxide aggregate material use in endodontic treatment: A review of the literature. Dent Mater 2008; 24: 149-164.
Stropko JJ. Micro-surgical endodontics. In: Castellucci A (Hrsg.) Endodontics. Vol. III. Edizioni Odontoiatriche Il Tridente, Florence 2009, pp 1118-1125.
Suresh Chandra B, Gopikrishna V. Endodontic surgery. In: Suresh Chandra B, Gopikrishna V, editors. Grossman´s Endodontic Practice, 13th ed. New Dehli: Wolters Kluwer Health; 2014. 462-498.


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