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Statement des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Implantologie, Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz

Wie sollen Zahnärzt*innen mit ihren Teams in der Corona-Epidemie agieren? Die Verunsicherung ist groß, denn nichts ist derzeit so alt wie die Corona-Meldung von gestern. Wir alle sind Zeugen von „Science in the making“. Denn während Forscher an Impfstoffen und Therapien arbeiten, Epidemiologen Modelle rechnen und mit Zahlen jonglieren, während Krisenstäbe tagen und Kommissionen diskutieren, müssen täglich in den Praxen und Kliniken Entscheidungen fallen, ob und wie Patienten behandelt werden sollen.

Auch die Experten der DGI haben keine Glaskugel und können die aktuelle Situation nur mit dem Wissen von heute beurteilen. Sicher ist sich DGI-Präsident Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz jedoch an einem Punkt: Zu viel Adrenalin ist manchmal nicht der richtige Ratgeber bei Entscheidungsprozessen. Im Folgenden das Statement des DGI-Präsidenten:

„Der Virologe Prof. Dr. Christian Drosten von der Charité Berlin hat uns sehr früh die Eckpunkte zur Bewältigung dieser Pandemie an die Hand gegeben:

• Es ist eine Durchseuchung von 70 Prozent der Bevölkerung zu erwarten (also deutlich über 55 Millionen Virusträger in Deutschland), bis eine Herdenimmunität eintritt.

• Die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Infektion muss verlangsamt werden, weil unser stationäres Gesundheitswesen sonst mit der rasant wachsenden Zahl schwerer Verläufe hoffnungslos überfordert wäre.

• Wirksamstes Mittel dafür ist die Vermeidung von Tröpfcheninfektionen bei zwischenmenschlichen Kontakten.

Ab sofort steht uns auch ein Kompendium mit Standardvorgehensweisen für Zahnarztpraxen während der Coronavirus-Pandemie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) zur Verfügung, das beispielsweise auch von meiner LZÄK (Hessen) sowie anderen Kammern online gestellt wird.

Die logische und unabdingbare Konsequenz dieser Aspekte ist, dass uns dieses Szenario über viele Monate begleiten wird. Darum ist schon jetzt klar, dass sehr bald nach dem sogenannten Shut Down eine schlaue Strategie entwickelt werden muss, welche Aktivitäten des öffentlichen Lebens gefühlt „auf Dauer“ (also viele Monate) ausgesetzt bleiben müssen, und welche schrittweise wieder zur Normalität zurückgeführt werden können.

Die Situation der stationären Versorgung

In Kliniken werden derzeit elektive Eingriffe unterlassen, um die Valenzen für die Versorgung schwer erkrankter Patienten mit COVID-19 zu vervielfachen. Das ist eine richtige Entscheidung, da alle Bereiche eines Krankenhauses (Betten, Beatmungsplätze, Personal etc.) auf den kommenden Tsunami vorbereitet werden müssen.

Hinzu kommt, dass eine Klinik auch ein öffentlicher Raum ist, in dem sehr viele Menschen mit vergleichsweise engem Kontakt zusammenkommen. Dabei besteht ein erheblicher Gradient der Infektionsvermeidung, von „maximal“ im aseptischen OP einerseits bis zu (bislang) „gar nicht“ in der Eingangshalle, in der ohne Schutzmaßnahmen viele unterschiedliche Menschen (gehfähige Patienten, wechselnde Besucher, Klinikangestellte etc.) aufeinandertreffen. Damit ist klar, dass sich die Strukturen stationärer Versorgung langfristig (eventuell sogar dauerhaft) verändern müssen.

Trotz all dem gilt auch im Zenit der Krise, dass die Versorgungsbreite nicht nur auf die akut lebensbedrohlichen Notfälle (Myocardinfarkt, Apoplex etc.) und Unfälle (Traumatologie) zurückgefahren wird, sondern auch sogenannte „nicht aufschiebbare“ Therapien (Onkologie, Infektionen, akut symptomatische Patienten) weiterhin erfolgen.

Die Situation in der ambulanten Zahnmedizin

Alle diese Aspekte sind sehr wichtig, wenn es um die ambulante Zahnheilkunde und speziell um die Implantologie geht. Drei Fragen und angemessene Antworten darauf sind hier von zentraler Bedeutung:

  1. Schaden wir unseren Patienten?
  2. Gehen wir ein unkalkulierbares Risiko für das Behandlerteam ein?
  3. Darf in der ambulanten Implantologie in diesen Zeiten über wirtschaftliche Aspekte gesprochen werden?

Ad 1: Der (vor der Corona-Krise) stattgefundene Paradigmenwechsel von der „implantologischen Kontraindikation“ der 1990er Jahre, der ganze Patientenkollektive betraf, zur „personalisierten Implantologie“ der Jetztzeit, hilft uns bei der Beantwortung dieser Frage.

Es wäre sicherlich leicht, verschiedene Szenarien aufzuzeigen, bei denen wir durch Implantation beziehungsweise Unterlassen der Implantation dem jeweiligen Patienten schaden können. Von zentraler Bedeutung ist dabei – und dies ist wirklich neu in der aktuellen Situation – beispielsweise die potenzielle Gefährdung durch den Hin- und Rück-Weg der Patienten von zuhause in die Klinik und durch den Aufenthalt in unseren Wartebereichen. An diese Aspekte denken wir normalerweise unter dem Aspekt „Risikopatient“ nicht.

Ein passendes Szenario: Bei einem Covid-19-Risikopatienten (höheres Alter, bestehende Grunderkrankung, Multimorbidität) besteht die medizinische Indikation für eine komplexe Augmentation (für eine zweizeitige Implantation), mit einigen (bis vielen) ambulanten Kontrollterminen. Hier erschließt sich sofort, dass dieser Eingriff eher auf die Zeit „nach dem Sturm“ zu verschieben ist.

Ein anderes Szenario: Bei Zustand nach erfolgreich behandelter Parodontalerkrankung und Verlust eines distalen Brückenpfeilers sowie temporärer Versorgung durch eine langzeitprovisorische Freiendbrücke steht im Zenit der spontanen Ossifikation und Kortikalisierung die Implantation an. Eine Verschiebung dieses Eingriffs geht mit diversen Risiken für den Patienten einher – von Prognoseverschlechterung der mesialen Restbezahnung bis Involutionsatrophie des Implantatlagers. Hier spricht mehr für die Implantation als sicher prognostisch planbare Maßnahme, als dagegen. Im Gegensatz zu früher werden wir diesen Patienten jetzt neben den üblichen perioperativen Aufklärungsinhalten auch Tipps für den Hin- und Rück-Weg (Mund-Nasen-Schutz in öffentlichen Verkehrsmitteln etc.) an die Hand geben und – natürlich – die aktuell sowieso unabdingbare Sorgfalt im Anmelde- und Wartebereich (Abstand!) walten lassen.

Ad 2:  Wegen des unmittelbaren Kontakts zum Gesicht des Patienten und dem somit beruflichen Risiko einer Tröpfcheninfektion tragen Zahnärzte, MKG-Chirurgen, HNO- und Augenärzte (inklusive des jeweiligen Behandlerteams) ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko.

Gefahr löst einen Fluchtreflex aus. Deshalb ist das emotionelle Begleitszenario in der Erörterung dieser Frage mehr als verständlich. Dennoch: Zu viel Adrenalin ist manchmal nicht der richtige Ratgeber bei Prozessen der Entscheidung. Die besonnene Analyse der wissenschaftlichen Daten von Prof. Dr. Zhuan Bian, dem Dekan der School of Stomatology von der Universität Wuhan, die im Dialog mit Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas (Mainz) und Prof. Dr. Frank Schwarz (Frankfurt/Main) sowie weiteren Wissenschaftlern im DGI-Webinar erfolgt ist, lässt – auch in Verbindung mit den Hinweisen des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) – folgende vorsichtige Schlussfolgerung zu:

Je genauer wir das tatsächliche Risiko einschätzen können und je mehr wir angepasst die individuell richtigen Sicherheitskautelen für das ganze Team wahrnehmen, desto sicherer kann eine Virus-Übertragung vermieden werden.

Diese Schlussfolgerung unterscheidet sich markant von polarisierenden Statements von „weiter wie bisher!“ bis „Schließung aller Praxen!“.

Ad 3: Das Szenario um den Ski-Ort Ischgl hat alle aufgerüttelt. Von Tag zu Tag verdichtete sich der Eindruck, dass aus rein kommerziellen Gründen (Gewinnsucht) hier das Risiko einer sich vielfach multiplizierenden Ausbreitung über ganz Europa in Kauf genommen wurde.

Vor diesem Hintergrund fällt es besonders schwer, öffentlich über finanzielle Aspekte im Gesundheitswesen zu reden. Andererseits wird die polarisierende Forderung zur Schließung aller Zahnarztpraxen gerne unmittelbar mit der Forderung nach einem vollumfänglichen finanziellen Ausgleich verknüpft. Auch in dieser Thematik sind Angst und Adrenalin Wegbegleiter der Diskussion.

Je genauer wir das tatsächliche Risiko einschätzen können und je mehr wir angepasst die individuell richtigen Sicherheitskautelen für das ganze Team wahrnehmen, desto sicherer kann eine Virus-Übertragung vermieden werden.

Folgende Aspekte sind hier wichtig: Wenn wir uns verhalten wie unter Punkt 2 beschrieben, ist die Zahnarztpraxis bezüglich der Pandemie-Ausbreitung ein vergleichsweise sicherer Ort. Wir müssen uns nur an die Regeln halten, vielleicht alte Gewohnheiten dabei aufgeben und nicht beispielsweise 40 wechselnde Patienten für eine Stunde in ein enges Wartezimmer pferchen.

Wird die zahnärztliche Therapie insgesamt und individualisiert angepasst – Vermeidung von Aerosolen; Handinstrumente statt Ultraschall bei der PZR etc. –, kann die zahnärztliche Grundversorgung aufrechterhalten werden. Im Dialog mit Schwerpunkteinrichtungen kann auch die sachgerechte Behandlung von SARS CoV-2-positiven Patienten erfolgen.

Zurück zur Implantologie: Wenn wir unsere Gedankenwelt weg von der Idee „ich setze ein Implantat“ hin zu der Überzeugung „ich nehme eine kaufunktionelle Rehabilitation vor“ bewegen oder bereits bewegt haben, beantwortet sich die Frage „Implantieren wir aus kommerziellen Gründen?“ von selbst.

Ein Zitat von Max Frisch lautet (sinngemäß): „Krise ist Chance, man muss ihr nur den Touch der Katastrophe nehmen“. In diesem Sinne sollten sich die ZahnMedizin und alle ZahnÄrztinnen und ZahnÄrzte in dieser Zeit an den gerne groß geschrieben Mittelbuchstaben halten. Auch wenn uns das Adrenalin in den Adern noch so gerne den Gedanken einer radikalen Lösung nahelegt, sind wir gut beraten, weiterhin den Weg einer individualisierten und personalisierten Medizin im Bereich von Zahnmedizin und Implantologie zu beschreiten. Also: es besteht keine grundsätzliche Kontraindikation aus wissenschaftlichen Beweggründen!

Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz, Wiesbaden; Präsident der DGI e.V.

Das Titelbild zeigt Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz, Wiesbaden; Präsident des DGI e.V. Bild: Bostelmann
Quelle: DGI Implantologie Nachrichten Zahnmedizin

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