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Die Herstellung von prächirurgischen kieferorthopädischen Gaumenplatten – aktueller Stand und Ausblick


Prof. Karl-Friedrich Krey

In den meisten Fällen wird nach unserem Behandlungskonzept bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten eine prächirurgische kieferorthopädische Behandlung (POT) durchgeführt. Das Ziel dieses Beitrags aus dem International Journal of Computerized Dentistry 3/2018 von Prof. Karl-Friedrich Krey et al. war die Demonstration eines vollständig digitalen Workflows zur Herstellung einer Gaumenplatte.

Material und Methode: Für die Erfassung der Oberkieferform wurde an zwei Patienten mit einem intraoralen Scanner eine digitale Abformung des Spaltkiefers vorgenommen. Nach Rekonstruktion eines virtuellen Modells aus den Scandaten konnten mit einer geeigneten Software entsprechende Bereiche des Kiefers ausgeblockt und eine Gaumenplatte konstruiert werden. Diese wurde mit einem DLP-3-D-Drucker mit Klasse IIa biokompatiblem Material gedruckt. Nach einer nur geringen Ausarbeitung konnte die Platte am Patienten eingegliedert werden.

Ergebnisse: Der Scan konnte in kurzer Zeit und ohne Beeinträchtigung des kleinen Patienten durchgeführt werden. Alle klinisch relevanten Bereiche zur Herstellung und auch zur digitalen Vermessung der Modelle konnten erfasst werden. Die Platte zeigte eine außerordentlich gute Passung und im Tragen keine Unterschiede zu einer konventionell gefertigten Platte.

Schlussfolgerungen: Zum ersten Mal konnte eine risikolose digitale Abformung des zahnlosen Spaltkiefers bei einem Baby mit einer nachfolgend vollständig digital konstruierten und 3-D-gedruckten Gaumenplatte gezeigt werden.

Die Zeitschrift soll es dem Praktiker wie dem Wissenschaftler ermöglichen, sich umfassend mit allen Gebieten der computergestützten Zahnheilkunde auseinanderzusetzen, um so das neue Medium Computer nutzbringend in die Behandlungskonzepte integrieren zu können. Das Besondere dieser Zeitschrift ist ihre Mehrsprachigkeit: Alle Artikel werden sowohl auf Englisch als auch in der Muttersprache der Autoren veröffentlicht; die Beiträge englischer Autoren zusätzlich auf Deutsch. Damit wird - unter Wahrung der Originalität - ein international zugängliches Forum des Informationstransfers auf diesem Sektor geschaffen. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.


Einführung

Bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG-Spalten) ist die präoperative kieferorthopädische Therapie (POT) ein fester Bestandteil des Behandlungskonzepts unseres Zentrums. Diese wurde bereits von Oliver1 beschrieben. Unser Konzept folgt den Empfehlungen von Hotz und Gnoinski2 sowie Hochban und Austermann3. Die wesentlichen Ziele sind die Normalisierung der Zungenlage und Führung der Spaltsegmente im Wachstum sowie die Beeinflussung der Position der Prämaxilla4. Auf eine aktive Beeinflussung der Segmente wird verzichtet5.

Auch wenn die Anwendung der POT in den vergangenen Jahren infrage gestellt wurde, sind aus unserer Sicht wichtige und positive Effekte damit verbunden6-8. In der Literatur werden – bedingt durch eine frühzeitige Normalisierung der Zungenlage – positive Effekte im Hinblick auf die spätere Artikulation9,10, eine Wachstumssteuerung der Spaltsegmente11,12 mit früher Harmonisierung der Morphologie13 sowie eine Verbesserung der Ernährung14 beschrieben. Darauf weisen auch Grabowski et al. hin15. Ebenso lässt sich eine bessere Einstellung der vertikalen Position der Spaltsegmente nachweisen16.

In der klassischen Vorgehensweise wird meist unter Nutzung eines individuellen Abformlöffels eine Alginat- oder Silikonabformung des Säuglingskiefers vorgenommen17. Diese Abformung ist nicht ohne Risiken. Gerade bei Patienten mit schmalen isolierten Spalten des Gaumens besteht das Risiko des Verbleibs von Abformmaterial im Spaltbereich18,19. Auf dem daraus gefertigten Gipsmodell wird nach Ausblockung mit Wachs eine Platte mittels kaltpolymerisierendem PMMA oder mittels Tiefziehtechnik hergestellt20.

Durch die Weiterentwicklung von Scantechnologie, CAD-Software und 3-D-Druck ergeben sich in der Kieferorthopädie zahlreiche neue Entwicklungsansätze. Diese reichen von der Herstellung von OP-Splinten, Aligner-Techniken bis zu patientenindividuellen CAD/CAM-gefertigten Multibracketapparaturen21. Auch in der Versorgung von Patienten mit LKG-Spalten sind CAD/CAM-basierte Therapieansätze für Gaumenplatten oder „Nasoalveolar Molding“ in jüngster Zeit beschrieben worden22. Die Genauigkeit der am Markt verfügbaren intraoralen Scanner (Abweichungen etwa 50 bis 70 µm) ist für kieferorthopädische Arbeiten völlig ausreichend23-26.

Der vorliegende Fallbericht demonstriert erstmals einen vollständig digitalen Workflow zur Herstellung einer Gaumenplatte für Patienten mit LKG-Spalten.

Kasuistik

Die kleinen Patienten hatten eine nichtsyndromale doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalte und Nasendysplasie sowie eine einseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (_ _ _SHAL)27 bei ansonsten unauffälligem Allgemeinzustand und ohne weitere medizinische Auffälligkeiten. Das Alter zum Zeitpunkt des Scans betrug 8 beziehungsweise 10 Wochen. Die erste Gaumenplatte wurde nach konventioneller Abformung mittels Alginat aus kaltpolymerisierendem Kunststoff hergestellt. Anschließend erfolgte ein Ausblocken des Gipsmodells respektive Hohllegung zur passiven Steuerung des Wachstums der Spaltsegmente und Einstellung der Prämaxilla. Es erfolgte kein Taping oder „Nasoalveolar Molding“. Das Tragen der bisherigen Platte gestaltete sich problemlos.

Scan

Der Scan der Kiefer erfolgte mit einer Omnicam Ortho (Sirona Dental GmbH) mit Cerec 4.4, der Export über Cerec-Connect. Eine sonst bei der digitalen Abformung übliche Abhaltung der Weichgewebe fand nicht statt. Einzig die Kamera wurde entsprechend positioniert. Tiefergehende Bereiche in Richtung Nase konnten nicht vollständig erfasst werden (Abb. 1 bis 4). Aufgrund des beheizten Scankopfes war der Scan für die Kinder nicht mit größeren Unannehmlichkeiten verbunden und wurde wesentlich besser als eine konventionelle Abformung toleriert.

Virtuelles Modell

Die Nachbearbeitung und Reparatur des Gitters (Löcher schließen, Brücken und Überhänge entfernen, invertierte Dreiecke korrigieren) erfolgte ebenso wie das Sockeln der virtuellen Modelle in OnyxCeph 3D Lab (Fa. ImageInstruments GmbH, Chemnitz). Dabei wurden die vom Scan nicht erfassten Bereiche automatisch verschlossen.

CAD – Konstruktion Platte

Die so generierten Modelle lieferten die Grundlage für das Ausblocken in Adobe Meshmixer (Autodesk Inc., US-San Rafael). Analog dem Vorgehen beim konventionellen Verfahren wurden Unterschnitte und Zonen, die für das Wachstum freigegeben werden sollten, ausgeblockt (Abb. 7 und 8). Dafür wurden die Sculp-Werkzeuge der genannten Software verwendet. Aus der Oberfläche des Gaumens wurde eine neue Fläche generiert und diese auf 2,6 mm extrudiert. Nach Abrundung der entstehenden Kanten und leichter Glättung der Oberfläche wurden die Platten als *.stl File exportiert (Abb. 8,9, 11 und 12). Aus diesem Grund bildete die Oberfläche eine leicht vergrößerte Kopie des Reliefs der Gaumenfortsätze. Auf eine vollständige Glättung wurde zungenseitig verzichtet.

3-D-Druck

Die Druckvorbereitung und Generierung des Supports (Abb. 13 und 14) erfolgte in netFabb professional 4.5 Autodesk Inc.) und der anschließende Druck mittels eines DLP-Druckers (Shera EcoPrint D30, Werkstoff-Technologie GmbH & Co. KG, Lemförde). Der Drucker arbeitet nach dem DLP-Prinzip („digital light processing“) und härtet Harz mittels des UV-Lichts eines LED-Beamers (HD 1080 × 1920 px). Bei einem „Building Frame“ von 110 × 62 × 85 mm wird vom Hersteller eine Genauigkeit von ±  29 µm (entspricht der Pixelgröße) angegeben. Ein patentiertes „force feedback“-System erlaubt eine hohe Druckgeschwindigkeit bei hoher Präzision. Die Baugeschwindigkeit kann so bis zu 50 mm/h betragen. Als Druckmaterial kam ein Klasse IIa biokompatibles Material (Fa. Shera ortho plus) zum Einsatz. Dieses ist für einen zeitlich nicht limitierten Verbleib im Mund zugelassen. Der Druck mit 570 Layern von 50 µm Schichtstärke dauerte etwa 2h 30 min. Monomerreste wurden im Unterschallbad mit Shera clean für 2 × 2 Minuten entfernt. Nach Trocknung in einem Wärmeofen für 30 Minuten bei 40 Grad Celsius (Cultura M, Almedica AG, Galmiz, Schweiz) wurde die Platte unter Stickstoffschutzatmosphäre (1,5 bar) nachgehärtet (3.000 Blitze je 10/sec mit 200 Watt bei 280–580 nm, Otoflash G171, NK Optik, Baierbrunn). Nach diesem Herstellungsprozess kann das Material als nahezu monomerfrei und vollständig homogen angesehen werden.

Nachbearbeitung

Nach Entfernung des Supports erfolgte eine minimale Nachkorrektur und Politur der lingualen Flächen mit rotierenden Instrumenten. Die palatinalen Anteile wurden nicht nachbearbeitet (Abb.  15 und 16). 

Klinische Anwendung

Die so gefertigten Gaumenplatten konnten bei den Patienten eingegliedert werden. Es waren nur minimale Anpassungen notwendig und die Platten wurden gut toleriert (Abb. 17 und 18). Ansonsten zeigten sich keine Unterschiede im Vergleich zu herkömmlich hergestellten Gaumenplatten.

Diskussion

In den Fallbeispielen konnte erstmals ein komplett digitaler Workflow für die Herstellung von Gaumenplatten bei Spaltpatienten demonstriert werden. Die digitale Abformung erwies sich als schonend und problemlos und wurde von den kleinen Patienten gut toleriert. Ein Grund dafür dürfte auch die Vorwärmung des Scankopfes sein. Es konnten alle klinisch relevanten Bereiche des Gaumens und der Umschlagfalte innerhalb einer zumutbaren Zeit erfasst werden. Auch morphologisch schwierige Strukturen bei doppelseitiger Spaltbildung konnten in klinisch ausreichendem Maß gescannt werden. Der Scan des gesamten Kiefers ist innerhalb eines Zeitraums von unter drei Minuten (mit Pausen) zu bewerkstelligen. Eine solche digitale Abformung schließt das Risiko eines Verbleibs von Abformmaterial im Spaltbereich aus18. 

Aufgrund der Größe des Scankopfes ist eine Abtastung der distalen Bereiche schwierig. Insbesondere die für Modellanalysen wichtigen Tuberpunkte können jedoch nicht zuverlässig abgebildet werden. Ebenso ist durch den limitierten Fokus eine tiefergehende Abbildung der Spaltregion nach kranial mit Darstellung des Nasenseptums nur eingeschränkt möglich. 

Für den Scan musste auf die Cerec 4.4 Software zurückgegriffen werden, da die Ortho Software 1.1 kein freies Scannen ermöglicht. Die vorhandenen weichgewebigen Strukturen des gespaltenen Gaumens scheinen genügend identifizierbare Strukturen für die Zusammenführung der Einzelbilder des Scans zu bieten.

Durch das virtuelle Ausblocken der Segmente ist eine gezielte Wachstumssteuerung möglich, auch wenn das Arbeiten am virtuellen Modell etwas Übung in der Erfassung von Größenrelationen erfordert. Die Konstruktion der Gaumenplatte ist nach einer gewissen Einarbeitungszeit in kurzer Zeit möglich. Die Konstruktion von Gaumenplatten in einem CAD/CAM-Workflow wurde schon von Shen et al.28 und Ritschl et al.29 demonstriert, diese wählten als Ausgangsbasis allerdings digitalisierte Gipsmodelle. Yu et al.30 nutzen für ihren digitalen Weg als Ausgangspunkt auch Gipsmodelle, simulierten die gewünschten Veränderungen am digitalen Modell und druckten diese. Auf den so gefertigten Modellen konnten die Platten hergestellt werden. 

Das verwendete Klasse-IIa-biokompatible Material ist aufgrund seiner fast vollständigen Monomerfreiheit den konventionell verwendeten Kunststoffmaterialien gegenüber als überlegen anzusehen20. Eine Hochglanzpolitur ist ohne Probleme möglich. Die Genauigkeit der 3-D-Druckverfahren sowohl für Modelle als auch Apparaturen ist außerordentlich gut und reduziert den Nachbearbeitungsaufwand auf ein Minimum26.

Schlussfolgerungen

Die digitale Abformung ist eine sichere und nicht invasive Möglichkeit der Erfassung des Spaltkiefers. Die virtuellen Modelle sind sowohl zur Herstellung von Gaumenplatten als auch zur Vermessung geeignet. Mithilfe von 3-D-Druckverfahren nach dem DLP-Prinzip und unter Verwendung von biokompatiblen Materialien können klinisch voll funktionsfähige und biologisch gut verträgliche Gaumenplatten hergestellt werden. Eine weitere Verkleinerung des Scankopfes würde die Möglichkeit der digitalen Abformung auch bei Neugeborenen oder Patienten mit Robin-Sequenz eröffnen. Eine bessere Erreichbarkeit und Erfassung der Tuberpunkte könnte zudem die Möglichkeiten einer longitudinalen Überwachung und dreidimensionalen Untersuchung der Wachstumsvorgänge beim Spaltträger mittels eines risikolosen Verfahrens ermöglichen.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de


Ein Beitrag von Prof. Dr. Karl-Friedrich Krey, Dr. Anja Ratzmann, M.Sc., Dr. Philine Henriette Metelmann, Dr. Marcel Hartmann, Dr. Sebastian Ruge und Prof. Dr. Bernd Kordaß, alle Greifswald

Quelle: International Journal of Computerized Dentistry, Ausgabe 3/18 Digitale Zahnmedizin Aus dem Verlag Zahnmedizin Digitale Zahntechnik

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