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Qualität der Notfallbehandlung ist oft für die weitere Kooperationsbereitschaft und die Prognose der Zähne wegweisend

Häufigste Ursachen für eine Schmerz- oder Notfalltherapie beim Kind sind pulpitische Beschwerden oder odontogene Infektionen aufgrund von Karies sowie akuten Frontzahntraumata und deren Folgen. Die Behandlungsplanung richtet sich dabei nach der Dringlichkeit, der Anästhesierbarkeit und der Kooperationsbereitschaft des Kindes. Dr. med. dent. Katharina Bücher et al. arbeiten in ihrem Beitrag, der zuerst in der Zeitschrift Quintessenz 4/2016 erschien, das Thema Schmerz- und Notfallbehandlung in der Kinderzahnheilkunde für die Praxis auf (Quintessenz 2016;67(4):411–420).

Um einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes beziehungsweise  einer Sepsis entgegenzuwirken, können bei schwerwiegenden Entzündungen eine intravenöse Antibiose und ein Notfalleingriff in Allgemeinanästhesie zur Entfernung der ursächlichen Zähne notwendig werden. Wenn der Befund moderater und der Patient ausreichend kooperativ ist, kann die erforderliche Behandlung als Elektiveingriff geplant erfolgen. Möglicherweise besteht auch dann die Indikation für eine antibiotische Therapie, um die akute Phase der lokalen Entzündung zum Abklingen zu bringen. Zudem ist es notwendig, invasive beziehungsweise ursachenbezogene Therapieentscheidungen unter Berücksichtigung der Kooperations­fähigkeit des betroffenen Kindes zu treffen.

Die „Quintessenz“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Das Kind als Schmerzpatient stellt eine wiederkehrende Herausforderung in der täglichen Praxis dar. Zudem ist dies für einen Großteil der Kinder der erste Kontakt mit dem Zahnarzt1,4,18,23. Mehr als die Hälfte der kindlichen Schmerzpatienten suchen die zahnärztliche Praxis aufgrund kariös bedingter Schmerzen auf1,4,5,19 (Abb. 1 bis 5). Schmerzverursachende Milchzähne bei Kindern mit frühkindlicher Karies sind vor allem die ersten Molaren und die oberen Frontzähne9,10 (Abb. 1). Im vollständigen Milchgebiss weisen die Approximalflächen der beiden Milchmolaren ein erhöhtes Kariesrisiko auf und können Ursache für eine rasche Mitbeteiligung des Endodonts sein. Des Weiteren werden nicht selten Pulpitiden oder odontogene Infektionen im Anschluss an eine vorausgegangene Füllungstherapie beobachtet25 (Abb. 2 und 3).

Der zweithäufigste Grund für zahnärztliche Notfälle im Kindesalter stellt das Frontzahntrauma dar1,19. Durchbruchsbeschwerden bleibender Molaren und persistierende oder kurz vor der Exfoliation stehende Milchzähne sind weitere Gründe für die ungeplante Vorstellung von Kindern in der Praxis. Ebenso können viral bedingte, schmerzhafte Infektionen wie Aphthen oder eine Gingivostomatitis Anlass für die zahnärztliche Konsultation sein1.

Um Notfallsituationen beim kindlichen Patienten erfolgreich zu bewältigen, wird ein empathisches und strukturiertes Vorgehen empfohlen. Hierbei ist es wichtig, neben dem medizinischen Behandlungsbedarf auch den Erhalt der Kooperationsbereitschaft des Kindes im Auge zu behalten.

Anamnese und Befunderhebung

Kinder mit Zahnschmerzen werden von Eltern beziehungsweise Betreuern nicht selten ohne vorherige Terminvereinbarung vorgestellt. Da aus der Erhebung der Allgemeinanamnese therapierelevante Informationen resultieren können, sollte hierauf sehr viel Wert gelegt werden. Insbesondere ist eine gezielte Schmerzanamnese erforderlich. Während Schulkinder in der Regel selbst Auskunft erteilen können, kann dies von Kleinkindern nicht erwartet werden. Ab einem Alter von etwa drei Jahren sind Kinder in der Lage, Hinweise auf die Lokalisation des Schmerzes zu geben, was jedoch nicht immer zuverlässig reproduzierbar ist28. Bei kleineren Kindern sollten die Eltern nach Anzeichen für ein Schmerzerleben wie Schwierigkeiten beim Kauen oder Abbeißen, Unruhe, Weinerlichkeit und Schlaflosigkeit befragt werden.

Bei vielen Patienten kommt es vor, dass Schmerzen bereits seit mehreren Tagen oder Wochen bestehen. Dies sind meist manifeste Befunde, die die Kinder beeinträchtigen25,26. Informationen zur Schmerzdauer und -intensität sollten im Rahmen der Befunderhebung erfasst werden. Im Fall pulpitischer Beschwerden zielt die Untersuchung auf eine gute Differenzierung des Pulpazustandes ab. Dieser ist richtungsweisend für die weitere Therapie. Während gelegentlich auf Reiz – z. B. Kälte, Getränke und Lebensmittel – auftretende Beschwerden eher auf das Vorliegen einer reversiblen Pulpitis hindeuten, sind Spontanbeschwerden, Dauerschmerz und provozierbarer Schmerz auf Druck typisch für eine irreversible Pulpitis. Lockerungen, Schwellungen und Fistelgänge weisen auf apikale bzw. fortgeschrittene Entzündungsprozesse hin (Abb. 1 bis 6).

Häufig ist die alleinige anamnestische Einschätzung der Schmerzen des Kindes schwierig. Die klinische und röntgenologische Untersuchung gibt jedoch zuverlässige Hinweise auf die wahrscheinliche Schmerzintensität und -ursache sowie den Behandlungsbedarf.

Klinische Untersuchung

Für die klinische Befunderhebung bietet sich beim Kleinkind die Schoßuntersuchung in der Knie-zu-Knie-Position an. Hierbei kann schnell und zuverlässig ein Überblick über die klinische Situation im engen Blick- und Körperkontakt mit der vertrauten Bezugsperson gewonnen werden. Bei größeren Kindern ist durch ein empathisches und behutsames Vorgehen eine Untersuchung der Mundhöhle auch in der Schmerzsituation möglich13. In diesem Zusammenhang haben sich Methoden der Verhaltensführung wie die Verwendung einer positiven und altersgerechten Sprache, die Tell-Show-Do-Technik oder auch Distraktionsmaßnahmen in der klinischen Praxis bewährt.

Eine extraorale Schwellung kann in Abhängigkeit von der Lokalisation im Mittel- oder Untergesicht meist durch eine Blickdiagnose wahrgenommen werden. Dies signalisiert typischerweise eine fortgeschrittene Entzündung odontogenen Ursprungs. Intraorale Befunde, die mit Zeichen einer akuten Entzündungsphase einhergehen können, sind Schwellung, Rötung, Erwärmung, Schmerz und eingeschränkte Funktion. Demgegenüber deuten Fisteln auf einen chronischen Entzündungsprozess hin.

Die digitale Untersuchung hat sich im Vergleich zu der üblichen Perkussionstestung mittels Instrumenten­griff bei Kindern bewährt. Ergänzend sollte der Lockerungsgrad des betroffenen Zahnes ermittelt werden, da er bei akuten beziehungsweise chronischen Entzündungen pathologisch verändert sein kann. Während die Vitalitätsprüfung am bleibenden Zahn fester Bestandteil der Diagnostik ist, wird ihr am Milchzahn eine geringere Bedeutung beigemessen, weil die diesbezüglichen Angaben des kindlichen Patienten oftmals unzuver­lässig sind. Als Faustregel gilt, dass mit zunehmendem Alter aussagekräftigere Befunde zur Vitalität von Milch- oder bleibenden Zähnen erhoben werden können.

Bei einem Zahnunfall ist die Beurteilung der verletzten Gewebe – Zahnhartsubstanz, Endodont, Par­odontium, Alveolarknochen und Gingiva – für die Diagnosestellung von vorrangiger Bedeutung. Hier haben sich der Einsatz strukturierter Dokumentationsbögen zur vollständigen Erhebung des Unfallhergangs und aller Symptome sowie die Erstellung von Fotos zur Unfall- und Verlaufsdokumentation bewährt21.

Röntgenologische Diagnostik

In unterschiedlichen klinischen Situationen ist die Anfertigung von Röntgenaufnahmen in der Kinderzahnheilkunde gerechtfertigt15. Dies trifft auch für den Schmerzpatienten zu. Zur Diagnostik erkrankter Oberkieferfrontzähne im Milch- und Wechselgebiss ist eine digital oder analog erstellte Aufbissaufnahme das Vorgehen der Wahl. Wenn der Schmerz von Seitenzähnen ausgeht, wird die Einzelzahnaufnahme genutzt, um apikale, interradikuläre Radioluzenzen und/oder interne beziehungsweise externe Resorptionen zu detektieren. Für die Approximalkariesdiagnostik hat sich die Bissflügel­röntgenaufnahme bewährt. Bei multiplen schmerzenden Zähnen, ausgedehnten Befunden oder zur Abklärung von Kieferfrakturen kann eine Panoramaschichtaufnahme erstellt werden. Die Indikation zur Anfertigung eines dentalen digitalen Volumentomogramms (DVT) ist bei Kindern aufgrund der erhöhten Strahlenbelastung streng zu stellen und findet im Bereich der Notfallversorgung allenfalls bei komplexen Zahnunfällen Anwendung.

Als Besonderheit beim kindlichen Schmerzpatienten muss angemerkt werden, dass die röntgenologische Diagnostik bei (Klein-)Kindern erschwert sein kann. Zur Wahrung der Kooperationsbereitschaft ist es unter Umständen notwendig, individuelle Kompromisse einzugehen. In diesen Fällen sollte entweder auf die Mithilfe der Bezugsperson oder auf eine alternative Bildgebung, z. B. eine Panoramaschichtaufnahme anstelle einer Einzelzahnaufnahme, zurückgegriffen werden. Im ungünstigsten Fall empfiehlt es sich, ganz auf eine röntgenologische Diagnostik zu verzichten. Das therapeutische Vorgehen beruht dann auf der klinischen Beurteilung oder anderen Diagnostikverfahren.

Kooperationsfähigkeit

Schmerzen beeinflussen die Kooperationsfähigkeit von Kindern häufig negativ. Dies trifft insbesondere zu, wenn bereits ein langwieriger Krankheitsverlauf, mögliche negative Vorerfahrungen und/oder eine Einschränkung des allgemeinen Gesundheitszustandes vorliegen. Die Einschätzung der Kooperationsfähigkeit erfolgt über den gesamten anamnestisch-diagnostischen Prozess und berücksichtigt in erster Linie die (Un-)Möglichkeit einer fundierten klinisch-röntgenologischen Diagnostik. Zusätzlich beeinflussen die elterliche Beurteilung der Kooperationsfähigkeit und die bisherigen Erfahrungen bei der (zahn)ärztlichen Behandlung des Kindes die Entscheidungsfindung. Zeigt das Kind eine hohe Ängstlichkeit, eine nicht altersgerechte Kooperationsbereitschaft beziehungsweise ein deutliches Abwehrverhalten oder ist eine Röntgendiagnostik nicht möglich, dürfte auch die Kooperationsbereitschaft für die weitere Behandlung in Lokalanästhesie gering sein. Sie spielt neben der Dringlichkeit des Befundes und der Wirksamkeit einer effektiven Schmerzausschaltung eine entscheidende Rolle bei der Therapieplanung.


Abb. 7 Die Wahl des Zeitpunktes und des Therapiesettings richtet sich nach der Dringlichkeit, der Wirksamkeit eines Lokal­anästhetikums für die Sofortbehandlung, der Kooperationsfähigkeit sowie der Notwendigkeit und Art einer begleitenden antibiotischen Maßnahme. LA = Lokalanästhesie, ITN = Intubationsnarkose.

Therapieplanung

In die Therapieplanung für einen kindlichen Schmerzpatienten sollten verschiedene Überlegungen einfließen (Abb. 7). Dazu gehören zunächst die Diagnose und die damit verbundene Dringlichkeit der Sanierung. Dia­gno­sen mit einer hohen Behandlungsdringlichkeit sind insbesondere fortgeschrittene Abszedierungen und Logenabszesse (vgl. Abb. 3 und 5). Dies gilt vor allem auch dann, wenn die Allgemeingesundheit des Kindes bereits reduziert ist. Symptome sind in der Regel Fieber, eine reduzierte Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrungsmitteln, Schluckbeschwerden und/oder eine eingeschränkte Mundöffnung. Um eine systemische Infektionsausbreitung und Sepsis zu verhindern, muss in jedem Fall eine effektive und rasche ursachenbezogene Intervention mit Abszessspaltung und Entfernung des betreffenden (Milch-)Zahnes erfolgen. Die Ausdehnung der Entzündung kann die Wirksamkeit und damit die Möglichkeit der Behandlung in Lokalanästhesie stark einschränken. Dann ist ein zeitnaher Notfalleingriff in Allgemeinanästhesie indiziert, was häufig eine stationäre Aufnahme bedingt7.

Wenn die Behandlungsdringlichkeit als moderat eingestuft wird, ist die Entscheidung in Abhängigkeit von der Kooperationsbereitschaft des Kindes zu treffen. Die Behandlung aufgrund fortgeschrittener Kariesstadien und Folgezustände sind hierbei typische Notfallindikationen (vgl. Abb. 2, 4 und 6). Auch Milchzähne, für die nach einem Unfallgeschehen eine ungünstige Prognose gestellt wurde, sind als moderat dringlich einzuordnen. Das therapeutische Vorgehen kann zunächst darin bestehen, mit einem Antibiotikum – sofern indiziert – die Entzündung zum Abklingen zu bringen und/oder mit einem Analgetikum die Symptome zu lindern. Parallel dazu sind die notwendigen Maßnahmen als Elektiveingriff in Lokal- oder Allgemeinanästhesie zu planen (vgl. Abb. 2).

Im Fall von Unfallverletzungen trägt die sofortige Versorgung der betroffenen Gewebe zu einer deutlichen Senkung vermeidbarer Komplikationen bei6. Laut internationalen Empfehlungen ist diesem Aspekt in der Notfallversorgung gleichfalls eine hohe Bedeutung beizumessen3,8,20.

Antibiose und Schmerztherapie

Odontogene Infektionen sind mehrheitlich durch anae­robe Keime aus dem bekannten Mundhöhlenmilieu charakterisiert, so dass die mikrobiologische Diagnostik im ambulanten Bereich eine untergeordnete Rolle spielt12. Ist eine sofortige Ursachenbeseitigung z. B. durch Zahnextraktion oder Trepanation möglich, lässt sich oft auf den Einsatz von Antibiotika verzichten. Odontogene Infektionen mit Schwellungen bedürfen bei Kindern einer antibiotischen Therapie, die entweder oral oder im fortgeschrittenen Stadium intravenös erfolgen kann (vgl. Abb. 2, 3 und 5). Im Fall einer Fistelbildung ist keine Antibiose indiziert16 (vgl. Abb. 6).


Tab. 1 Dosierung typischer Antibiotika im Kindes- und Jugendalter

Die Anwendung von Aminopenicillinen bzw. Amoxicillin in Kombination mit β-Lactamase-Hemmern (Clavulansäure) wird bei Schulkindern und Jugendlichen angeraten17. Für Kinder unter 6 Jahren existiert eine ältere Empfehlung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie22. Als Antibiotikum der ersten Wahl gilt hier Phenoxymethylpenicillin. Im Fall einer Penicillin­unverträglichkeit ist für Kinder und Jugendliche Clinda­mycin indiziert2,16,17,22. Antibiotika werden grundsätzlich gewichtsbezogen dosiert (Tab. 1). In Abhängigkeit vom Alter muss eine geeignete Darreichungsform gewählt werden. Im Kindesalter wird eine Suspension gegenüber Tabletten bevorzugt.

Da die Verabreichung eines Antibiotikums in den ersten 24 Stunden in der Regel zu keiner Schmerzlinderung führt, sollte sie am ersten und bei Bedarf auch an den folgenden Tagen durch eine ausreichende An­algetikagabe begleitet werden28. Analgetika der Wahl sind bei Kindern Ibuprofen und Paracetamol. Letzteres weist bei einer Überdosierung jedoch eine erhöhte Toxizität auf28.

Sowohl Ibuprofen als auch Paracetamol stehen in kindgerechten Darreichungsformen wie Sup­positorien, Suspensionen, gering dosierten Dragees oder Tabletten zur Verfügung (www.roteliste.de). Eine ausreichende Schmerztherapie zielt darauf ab, eine Ex­sikkose, die aus einer schmerzbedingten Flüssigkeits- und Nahrungsverweigerung resultieren kann, zu vermeiden.

Die befund- und gewichtsadäquate Dosierung von Antibiotika und Schmerzmitteln ist auch bei (Klein-)Kindern zu beachten. In der Vergangenheit wurde mehrfach berichtet, dass Kinder in der klinischen Routine weniger und/oder falsch dosierte Schmerzmitteln erhalten14. Die Verschreibung von Antibiotika sollte vor dem Hintergrund wachsender Resistenzen indikationsgerecht erfolgen12.

Zahnärztliche Notfallmaßnahmen: Extraktion, Trepanation und Inzision

Während dem Zahnerhalt mittels endodontischer Maßnahmen in der bleibenden Dentition ein hoher Stellenwert zukommt, stellt die Entfernung schmerzverursachender Milchzähne nach wie vor die Regelversorgung dar. Diese Zähne weisen irreversible Pulpitiden, Pulpanekrosen, apikale Parodontitiden und/oder Abszedierungen auf und sind somit nicht erhaltungswürdig16 (vgl. Abb. 1 bis 6). Die Trepanation pulpitischer Milchzähne ist selten eine Option, da bei ausreichender Kooperationsbereitschaft und Applizierbarkeit eines wirksamen Lokalanästhetikums der Extraktion der Vorzug gegeben werden sollte (vgl. Abb. 4 und 5). Schwellungen können bei (Klein-)Kindern mit unterschiedlichen Symptomen bzw. Progressionsgraden vergesellschaftet sein. Nur bei fluktuierenden und purulenten Prozessen erscheint die Inzision das Vorgehen der Wahl, um eine rasche und effektive Entlastung zu schaffen. Dies erfordert jedoch eine Lokalanästhesie und eine gute Kooperation. Bei einem ödematösen Infiltrat der umliegenden Weichgewebe, wie es häufiger bei Kindern angetroffen werden kann, ist die Inzision jedoch nicht zielführend, da kein abgekapselter Entzündungsprozess vorliegt. Vor dem Hintergrund einer möglichen Traumatisierung des Kindes sollte der antibiotischen Therapie in diesen Fällen der Vorrang eingeräumt werden.

Vernachlässigung und Körperverletzung

Wenn der begründete Verdacht auf eine Vernachlässigung besteht, z. B. bei wiederkehrender Vorstellung mit Schmerzen aufgrund einer fehlenden oder verschleppten zahnärztlichen (Folge-)Versorgung, empfiehlt es sich, den Kontakt zu dem behandelnden Pädiater zu suchen und ggf. Maßnahmen zur Hilfestellung einzuleiten11. Im Fall unschlüssiger Unfallhergänge, multipler Verletzungen unterschiedlichen Datums oder akuter Gewalt gegen das Kind, die den Verdacht auf eine Kindesmisshandlung begründen, ist je nach Dringlichkeit vor oder nach der zahnärztlichen Erstversorgung unverzüglich eine weiterführende körperliche Untersuchung durch einen Pädiater angezeigt11. Alle anamnestischen Informationen, Befunde und Diagnosen sind hier besonders sorgfältig zu dokumentieren.

Fazit

Schmerzen bedürfen im Kindesalter einer schnellen und effektiven Linderung. Bei der Notfall- und Schmerz­therapie muss der behandelnde Zahnarzt verschiedene Aspekte beachten. Prinzipiell steht die (zahn)medizinische Hilfestellung im Notfall außer Frage und ist folgerichtig zu leisten24,27. Dabei beeinflussen die Dringlichkeit des Befundes, die Behandelbarkeit in Lokalanästhesie und die Kooperationsbereitschaft des Kindes maßgeblich die Therapieplanung. Schwerwiegende Notfälle erfordern eine rasche, in Lokal- und/oder Allgemeinanästhesie durchzuführende Intervention, um eine sys­temische Ausbreitung purulenter Entzündungen zu vermeiden oder Unfallfolgen zu minimieren. Pulpitische Prozesse, apikale beziehungsweise interradikuläre Parodontitiden und odontogene Abszesse sind oftmals Ursache für die Erstkonsultation in der Zahnarztpraxis und Folge einer frühkindlichen Karies. Als Optimum werden hier entweder die schrittweise Behandlung in Lokalanästhesie, welche eine gute Kooperation des Kindes voraussetzt, oder die Gebisssanierung in Allgemeinanästhesie angesehen.

Ist eine Sanierung in Allgemeinanästhesie unumgänglich, sollte die Notfallmaßnahme idealerweise in eine konservierend-chirurgische Gesamttherapie eingebettet sein. Da dieser Eingriff in der Regel nicht ad hoc vorgenommen werden kann, reduzieren Antibiotika sowie Schmerzmittel die Symptome und überbrücken das Intervall zwischen der Notfallvorstellung und der Sanierung. Im Rahmen der Notfalltherapie bei Kindern sollte man stets bedenken, dass die Qualität der Notfallbehandlung unter Umständen für die weitere Kooperationsbereitschaft wie auch für die Prognose der Zähne wegweisend ist. Ein erklärendes, empathisches und kindgerechtes Vorgehen unter Einbeziehung der Eltern bildet die Voraussetzung für einen langfristigen Therapieerfolg.

Ein Beitrag von Dr. med. dent. Katharina Bücher, München, Dr. med. Jan Pfisterer, München, Prof. Dr. med. dent. Roswitha Heinrich-Weltzien, Jena, und Prof. Dr. med. dent. Jan Kühnisch, München

 

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Quelle: Quintessenz Zahnmedizin, Ausgabe 4/16 Restaurative Zahnheilkunde Zahnmedizin Interdisziplinär

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